Wenn ein Werkvertrag noch nicht vollständig erfüllt worden ist, kann der Werkbesteller bis zur Beseitigung aller bestehenden Mängel seine eigene Leistung verweigern, also den Werklohn noch zurückbehalten. Doch besteht dieses Leistungsverweigerungsrecht auch bei bloß geringfügigen Mängeln und kann der Besteller dann den gesamten Werklohn zurückbehalten? Wie verhält es sich, wenn die Ausübung dieses Rechts zu Schikane ausartet – wann kann überhaupt von Schikane gesprochen werden?

Sicherung des Gewährleistungsanspruchs

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs (OGH), der sich erst kürzlich wieder mit der oben genannten Thematik auseinandergesetzt hat, steht dem Werkbesteller bis zur völligen Erfüllung der Verbindlichkeit des Werkunternehmers, also bis zur Verbesserung bestehender Mängel, ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Dieses beruht auch der Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrags gemäß § 1052 ABGB. Sinn und Zweck dieses Rechts ist es, dem Werkbesteller die Möglichkeit zu eröffnen, seinen Gewährleistungsanspruch zu sichern, weil Verbesserungsansprüche mangels Gleichartigkeit mit Werklohnforderungen nicht kompensiert werden können. Dem Besteller eines Werks ist es daher zum Schutz seines Gewährleistungsanspruchs gestattet, den Vollzug der Gegenleistung so lange hinauszuschieben, bis der andere Teil seinen Verpflichtungen voll entsprochen hat.

Schikane – ja oder nein?

Nach der ständigen Rechtsprechung des OGH kann der Werkbesteller grundsätzlich den gesamten offenen Werklohn zurückbehalten und nicht nur einen Teil in der Höhe des auf die Behebung des Mangels entfallenden Deckungskapitals, welches im Vorhinein auch nur schwer abschätzbar ist. Das Leistungsverweigerungsrecht steht ihm grundsätzlich auch bei Vorliegen geringfügiger Mängel zu, es sei denn, die Ausübung dieses Rechts artet zur Schikane aus. Das ist der Fall, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet oder wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht. Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist jeweils aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

Interessensabwägung im Einzelfall

Außerdem stellte der Gerichtshof klar, dass bei der Beurteilung, ob Schikane vorliegt, nicht allein auf einen fixen Prozentsatz der Mängelbehebungskosten abzustellen ist. Ganz allgemein sind nämlich richtigerweise die Interessen der Streitteile gegenüberzustellen und zu prüfen, ob ein Missverhältnis im geforderten Ausmaß vorliegt. Als Ergebnis einer solchen Interessenabwägung im Einzelfall bejahte der OGH den Rechtsmissbrauch beispielsweise, wenn das hergestellte Werk vom Besteller in Gebrauch genommen wurde, die Mängelbehebung keine besonderen Fachkenntnisse erforderte und kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien zur Voraussetzung hatte (dieser Interessenabwägung lag auch zugrunde, dass der Verbesserungsaufwand weniger als 5 % vom einbehaltenen (restlichen) Werklohn betrug). Zu beachten ist noch, dass die Beweispflicht dafür, dass ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen vorliegt, stets denjenigen trifft, der sich darauf beruft (veröffentlicht in OGH 5 Ob 191/20d).

Fazit: Der Werkbesteller kann zur Sicherung seines Gewährleistungsanspruchs grundsätzlich den gesamten offenen Werklohn zurückbehalten. Das Leistungsverweigerungsrecht steht ihm auch bei Vorliegen geringfügiger Mängel zu, es sei denn, die Ausübung dieses Rechts artet zur Schikane aus. Bei der Beurteilung, ob Schikane vorliegt, beraten wir Sie gerne, denn es ist nicht allein auf einen fixen Prozentsatz der Mängelbehebungskosten abzustellen, sondern die Interessen der Streitteile sind ganz allgemein gegenüberzustellen und es ist zu prüfen, ob ein Missverhältnis im geforderten Ausmaß vorliegt.

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